Rudolf Hilferding

Der deutsche Imperialismus und die innere Politik

(Oktober 1907)


Karl Emil (Rudolf Hilferding), Der deutsche Imperialismus und die innere Politik, Die neue Zeit, 26 Jg., 1. Bd. (Oktober 1907), H. 5, S. 148–163.
Transkription: Daniel Gaido.
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I.

Es ist eine auf den ersten Blick verwunderliche Tatsache: während die entwickelten kapitalistischen Länder Europas über große und zum Teil für die Kapitalisten sehr wertvolle Kolonialreiche verfügen, hat Deutschland, in dem seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die kapitalistische Wirtschaft die größten und intensivsten Fortschritte gemacht hat, keine irgend in Betracht kommenden Kolonien, und selbst das wenige, das es besitzt, stammt erst aus neuester Zeit. Dass dies von der deutschen Kapitalistenklasse als arger Widerspruch empfunden wird, ist klar. Uns interessiert aber zunächst die Frage, warum es so geworden ist; denn die Beantwortung dieser Frage kann vielleicht auf den Charakter und das künftige Schicksal dessen, was man deutschen Imperialismus zu nennen sich gewöhnt hat, einiges Licht werfen.

Von der wirtschaftlichen Entwicklung der südlichen und westlichen Staaten Europas unterscheidet sich die Deutschlands dadurch, dass sie am längsten in naturalwirtschaftlichen Zuständen verharrte. Der letzte Grund dafür ist dieser: während Italien, Spanien, Frankreich und England zum Teil unter dem Einfluss der Römer und dessen Nachwirkungen über eine rein agrarische Kultur hinausgewachsen waren, fand Deutschlands für die agrarischen Produktionsverhältnisse der damaligen Zeit überschüssige Bevölkerung weiten Nahrungsspielraum zuerst durch die Rodung der Urwälder der Heimat und später durch die Kolonisierung im slawischen Gebiet, dessen verstreut und wenig geschlossen wohnende Bewohner gewaltsam zurückgedrängt oder zum Teil assimiliert wurden in jener gewaltigen Kolonisierungsarbeit, die den Deutschen das Land im Osten und Südosten gewann.

Aber die Naturalwirtschaft schließt eine starke einheitliche schlagfertige Zentralgewalt aus. Die Träger staatlicher Funktionen konnten nicht anders für ihre Dienste entschädigt werden als durch Begabungen mit Grund und Boden. Die staatlichen Hoheitsrechte wurden gleichsam zum Zubehör eines bestimmten Grundbesitzes und mit diesem selbst vererbt. Alle Versuche der königlichen Zentralgewalt, eine einheitliche Verwaltungsorganisation zu schaffen, scheiterten an den wirtschaftlichen Bedingungen. Der Staat war kein einheitlicher Organismus, der von einem Staatswillen beseelt wurde, sondern ein Aggregat von lauter Diminutivstaaten, die alle ihren eigenen Willen hatten und nur in besonderen Fällen zumeist dem Zwange äußerer Not gehorchend zu einem Willen Zusammenflossen. [1]

Erst die Geldwirtschaft erzeugt die Notwendigkeit und zugleich die Möglichkeit einer einheitlichen zentralisierten Staatsmacht. Das Aufkommen der Warenproduktion schafft in den Städten die Träger der Bestrebungen für die Staatseinheit und gibt deren Repräsentanten, der königlichen Gewalt, zugleich die Mittel, sich die Werkzeuge der Staatsgewalt zu schaffen in den nicht mehr mit Grund und Boden und deshalb zur Unabhängigkeit strebenden, sondern in der mit Geld entlohnten und von der Zentralgewalt daher stets abhängigen Bürokratie und im Söldnerheer. Für die Entwicklung dieser Zentralgewalt war aber entscheidend wichtig der Zeitpunkt, in dem die geldwirtschaftliche Entwicklung eintrat, und das Tempo, in dem sie sich entwickelte und ihre Gegentendenzen zur naturalwirtschaftlichen Entwicklung entfaltete. Denn die Auflösung der ursprünglichen Zentralgewalt in eine Reihe von Grundherrschaften und deren Zusammenfassung zu einem landesherrlichen Territorium war ja ein jahrhundertelanger geschichtlicher Prozess. Die geldwirtschaftliche Entwicklung setzte aber in Süd- und Westeuropa viel früher ein und entwickelte sich viel rascher als in Deutschland. Dies hatte zur Folge, dass es in England und Frankreich gelang, eine zentrale Staatsmacht zu begründen, während Italien, wo einerseits die geldwirtschaftliche Entwicklung am frühesten und raschesten eingesetzt hatte, andererseits aber auswärtige Einflüsse die Entstehung einer zentralen Gewalt überhaupt verhinderten, in eine Reihe von Stadtstaaten zerfiel, die an ökonomischer und damit politischer Macht den großen Staaten der damaligen Zeit vorauseilten, wie die Geschichte von Venedig, Florenz und Genua beweist.

Die Träger der Expansionspolitik dieser Stadtstaaten aber sind das Handels- und Wucherkapital, das sich sehr früh in den Poren der mittelalterlichen Gesellschaft ausbildet. Während der Binnenhandel zum großen Teil noch „handwerksmäßigen“ Charakter sowohl nach Größe des Umsatzes als nach Art des Betriebs beibehält, löst sich von ihm ein Handelsbetrieb ab, der anfangs gelegentlich, später berufsmäßig vor allem als Überseehandel sich entwickelt verbunden mit Seeraub und mit Ausraubung und Versklavung überseeischer Gebiete. Es sind die Interessen dieses Handels, die zur ersten Periode der Kolonialwirtschaft führen. Aber die Kolonialwirtschaft setzt zu ihrer Verwirklichung voraus das Bestehen einer starken zentralisierten Staatsmacht, welche die materiellen und persönlichen Kräfte des ganzen Volkes in den Dienst dieser Kolonialpolitik stellen kann. So entsteht mit der Geldwirtschaft und der Herausbildung des Handelskapitals zugleich das Interesse und die Möglichkeit der Kolonialpolitik. Sie beginnt naturgemäß dort, wo die Entwicklung des Handelskapitals am stärksten ist, in Italien. Genuesen und Venetianer ziehen bereits aus der Beteiligung an den Kreuzzügen den größten Nutzen, nicht nur durch die Vermittlung des Transportes und durch die Finanzierung der Heereszüge, sondern auch durch ausgedehntesten Landerwerb. Seitdem ist ihr ganzes Trachten gerichtet auf Ausdehnung ihrer Gebiete. „Die systematische Ausbeutung der Mittelmeervölker mittels Zwangsarbeit“, sagt Sombart mit Recht, „bildet das Fundament, auf dem sich die Machtstellung Venedigs und Genuas erhebt.“ [2]

Italiener entdecken im fünfzehnten Jahrhundert die Kanarischen Inseln und suchen zuerst den Seeweg nach Ostindien; auch später sind es zumeist Italiener, die den Völkern am Atlantischen Ozean die Entdeckerfahrten machten: „Christoph Kolumbus ist nur der größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienst der Westvölker in fremde Meere fahren“, heißt es bei Burckhardt.

Das Interesse des Handelskapitals ist es auch, das zu jenen Entdeckungen führt, deren Triebkraft vor allem die Auffindung eines direkten Weges nach Ostindien ist, um das Handelsmonopol der Araber, die den europäischen Kaufleuten den Rahm von der Milch abschöpften, zu umgehen und Ersatz für den über Zentralasien gehenden Handelsweg, der durch fortwährende Kämpfe gestört wurde, zu finden.

Auch diese Bestrebungen gehen zunächst von Italien aus. Den Italienern folgen die Portugiesen, die schließlich den Seeweg nach Ostindien finden und zugleich gewaltsam das Handelsmonopol der Araber brechen. Um Indien und später um das neuentdeckte Amerika entbrennt schließlich der Kampf der in die kapitalistische Periode eintretenden Nationen und damit die ersten Entscheidungen um den Besitz der Kolonien. Deutschland aber ist von diesem Kampfe ausgeschlossen. Die Gründe hierfür liegen nicht allein in der Entwicklung des deutschen Handels. Zwar hatte sich dieser zunächst als Landhandel entwickelt. Er ist im wesentlichen Zwischenhandel. Der süddeutsche vermittelt den Handel der nordischen Länder mit den italienischen Städten, die die Reichtümer des Ostens nach Europa bringen. Der niederdeutsche Handel vermittelt den Austausch zwischen Ost und West, zwischen England und den Niederlanden einerseits, Skandinavien und dem slawischen Osten andererseits. Es ist ein Handel, der in seiner Entwicklung auf den Fortschritt des italienischen und englischen Handels angewiesen ist, sich von ihm in einer gewissen Abhängigkeit befindet. Aber immerhin hatte sich auf dieser Grundlage ein Handelskapital entwickelt, dessen Interessen weit über die des Zwischenhandels hinausgingen und gebieterisch eine Beteiligung Deutschlands an der Aufteilung der neuen Welt verlangten. Häuser von der Größe und Macht der Fugger oder Welser waren die gegebenen Träger einer deutschen Kolonialpolitik. Aber ihre Bestrebungen mussten scheitern an dem Fehlen einer starken Zentralgewalt, die allein imstande gewesen wäre, die gewaltigen Mittel für eine solche Politik aufzubieten. Diese Zentralgewalt aber war nicht vorhanden, weil die naturalwirtschaftliche Entwicklung unterdes die Reichseinheit längst gesprengt hatte. Die geldwirtschaftliche Entwicklung kam zu spät, als dass ihre Früchte noch die Zentralgewalt pflücken konnte. Bereits hatten die Großen des Reiches alle staatlichen Machtbefugnisse usurpiert, und einmal im Besitz der Macht, waren sie es, die die geldwirtschaftliche Entwicklung für die Begründung und Befestigung ihrer Territorialherrschaften auszunutzen wussten. An den deutschen Fürsten, an diesen waldursprünglichen Überresten der naturalwirtschaftlichen Epoche unserer Geschichte, scheiterte die Anteilnahme Deutschlands an dem neuen Weltreich.

Vergebens suchen die Fugger durch ihre Kommanditeinlage in das Geschäft der deutschen Kaiserwahl wenigstens durch Karl V. eine Personalunion Deutschlands mit der großen Kolonialmacht Spaniens herbeizuführen. Nach anfänglichen Erfolgen machten die großen süddeutschen Handelshäuser im Gefolge Spaniens schließlich Bankrott. Die Finanzierung der Habsburger war eine verfehlte Spekulation.

Für die niederdeutschen Städte aber bildete die geographische Lage das Hindernis. Da die Zentralgewalt versagte, schloss ihre Isolierung im Vorhinein eine aktive Beteiligung an der Kolonialpolitik aus; diese war geknüpft an die Beherrschung der neuen Handelswege, vor allem an die Beherrschung des Atlantischen Ozeans, die nach dem Falle Spaniens an die alten Rivalen der Hansa, an die Niederlande und England überging.

Es ist ein eigentümliches Bild: dem äußeren Anschein nach ist kein Reich den Bedingungen für die neue Politik, die die Entdeckungen erforderten, mehr gewachsen als das Reich Karls V., in dem die Sonne nie unterging. Spanien und die Niederlande waren die gegebenen Stützpunkte für die Beherrschung des Ozeans, des neuen Handelswegs. Der deutsche Handel war noch mächtig und bedeutsam, in Italien der Einfluss des Kaisers groß. Alle Bedingungen für die Entstehung eines gewaltigen Weltreiches, in dem der Kapitalismus sich schrankenlos entfalten konnte, scheinen gegeben. Doch dem gewaltigen Bau fehlen die Klammern einer einheitlichen Zentralgewalt. Die territorialen Interessen sind stärker als die Bedürfnisse der deutschen städtischen Entwicklung. Sie siegen, das Reich zerreißt in ohnmächtige Teile, die peripherischen, aber für die Entwicklung einer Kolonialmacht unentbehrlichsten Gebiete fallen ab. Die Niederlande lösen sich los, in Italien schwindet der kaiserliche Einfluss, die kapitalistische Entwicklung rauscht an Deutschland vorüber, es zurücklassend in dem Elend nationaler Zerrissenheit und naturalwirtschaftlicher Rückbildung. An der ersten Teilung der Welt hat Deutschland keinen Anteil. Die kapitalistische Entwicklung Deutschlands wird für Jahrhunderte zurückgeworfen durch die reichsfeindliche Politik der deutschen Fürsten. Die erste Entscheidung über den deutschen Imperialismus war gefallen.

Dies mag imperialistischen Schwärmern als das Tragische in dieser Epoche deutscher Geschichte erscheinen: alle Bedingungen scheinen erfüllt, wie sie in dieser Vollständigkeit nie wieder vereinigt sein konnten. Der ganze Kontinent fast vereint unter der Herrschaft eines einzigen, dem auch der neue Kontinent mit seinen unendlichen Schätzen zum großen Teil zugefallen ist. Und diese äußere Pracht zusammenstürzend in innerer Schwäche, selbst ein Erbteil einer geschichtlichen Entwicklung, die das stolzeste Ruhmesblatt unserer nationalen Entwicklung ausmacht. Denn es ist die Kolonisierung des Ostens, die das lange Verharren in naturalwirtschaftlicher Entwicklung und damit die Unabhängigkeit der Fürsten bedingte, die Herausbildung einer starken Zentralgewalt zur Unmöglichkeit machte.
 

II.

Die Kolonialpolitik, die Ausraubung der Naturschätze, vor allem auch der edlen Metalle, die Versklavung der Eingeborenen ist der mächtigste Hebel jener ursprünglichen Akkumulation, auf der sich der industrielle Kapitalismus in Europa aufbaut. Aber solange der industrielle Kapitalismus in seinen Anfängen ist, dominieren noch die Interessen des Handels- und zinstragenden Kapitals. Es ist das Handelskapital, das zuerst in der Form ländlicher Hausindustrie und der Manufaktur zur kapitalistischen Produktion übergeht, um sich erstens so die Gegenwerte für den überseeischen und Kolonialhandel in genügender Menge zu verschaffen, die die alten Produktionsmethoden nicht gewährleisten konnten, und um zweitens seinen Handelsprofit durch die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit aus der Produktion zu steigern. Indem die neuen Methoden gesellschaftlich kombinierter Arbeit zugleich deren Produktivität steigerten, erhielt das Handelskapital die Produkte, die es zum Austausch benötigte, zugleich billiger als vom Handwerk. Die kapitalistische Produktion in der Form der Manufaktur erscheint nur als Hilfsmittel, Zubehör des Handels, vor allem des überseeischen Handels, als eine Vermehrung des Profits, der der Hauptsache nach noch aus dem Handel und aus der Ausbeutung der Kolonien stammt. Es ist die Epoche, der die Wirtschaftspolitik des Merkantilismus entspricht, die nach außen hin charakteristisch ist durch die unaufhörlichen Handelskriege der großen europäischen Nationen, in denen sich ihr Anteil an der Beute schließlich entscheidet. Das zerrissene Deutschland steht abseits von diesen Entscheidungen.

Eine Änderung in der Stellung zu den Kolonien tritt erst ein mit der raschen Entwicklung des industriellen Kapitalismus seit der Einführung der modernen Maschinerie. Jetzt ändern sich die Interessen innerhalb der Kapitalistenklasse. Das industrielle Kapital dominiert immer mehr über das Handelskapital und das zinstragende Kapital, das jetzt die Form des Bankkapitals annimmt. Beide Formen geraten immer mehr unter die Botmäßigkeit des industriellen Kapitals. Für dieses aber ist entscheidend nicht mehr in erster Linie der Handel mit den Kolonien. Die Verbilligung der Produktion durch die Maschinerie schafft ihm nähere, wichtigere und aufnahmefähigere Absatzwege. Die maschinelle Produktion verdrängt die ländliche Hausindustrie, ruiniert das handwerksmäßige Gewerbe und schafft zunächst einen inneren Markt. Dann aber ergreift die Wirkung der zunächst in England aufblühenden Industrie die übrigen europäischen Länder, macht diese einmal zu Lieferanten agrarischer Produkte an England und sodann zu den wichtigsten Absatzmärkten für das englische Kapital. Demgegenüber treten die Kolonien an Bedeutung zurück. Nicht mehr die Profite, die im Handel mit ihnen entstehen, sondern der industrielle Profit, der durch die Ausbeutung der einheimischen Lohnarbeit entsteht, tritt an erste Stelle. Und gegenüber der Ausbeutung zu Hause tritt wenigstens vorübergehend die Ausbeutung der Eingeborenen in den Kolonien zurück, eine Entwicklung, die durch die Gestaltung der kolonialen Verhältnisse zum Teil beschleunigt wird. In Amerika ist die einheimische Bevölkerung zur schweren, ausdauernden Sklavenarbeit minder tauglich und wird vernichtet. Ihre Stelle nehmen Neger ein, die aber nur für die Arbeit auf den Plantagen der Südstaaten in Betracht kommen. Die Nordstaaten werden von Europäern eingenommen, die sich in ihren Interessen sehr bald durch die Ausbeutung des Mutterlandes bedroht sehen. Sie werden stark genug, um zum Abfall zu schreiten.

Für das heimische industrielle Kapital aber werden die europäischen Absatzwege immer wichtiger. Ihrer Erweiterung dient die Freihandelspolitik, die den Merkantilismus in England vollständig überwindet, die Schutzzollpolitik des übrigen Europas einschränkt. Gleichzeitig mit der Freihandelsströmung nimmt die Gleichgültigkeit gegen die Kolonien zu.

Die Kolonialfrage wird für das industrielle Kapital eine reine Kostenfrage, und es findet rasch, dass die Gelder besser in der heimischen Industrie als in den unsicheren Anlagen für Kolonien mit ihrem Gefolge von unproduktiven Ausgaben angelegt werden. Es ist die große Expansionsmöglichkeit, die der junge industrielle Kapitalismus im Innern findet, es sind die großen Profite, die die Fabrik macht, solange sie noch in Konkurrenz mit den veralteten Produktionsweisen des europäischen Handwerks und der bäuerlichen Hausindustrie steht, die den Wunsch nach Anlagesphären des Kapitals in überseeischen Ländern so sehr einlullt und schließlich eine Abneigung gegen jede Kolonialpolitik schafft bis zu der Idee, die Kolonien überhaupt aufzugeben.

Jedoch die Entfaltung des Kapitalismus ändert wieder die Stellung der Kapitalistenklasse zur Kolonialpolitik. Der englische industrielle Kapitalismus besiegt völlig die anderen Wirtschaftsformen; die ihm entsprechende Produktivität der Arbeit wird immer mehr zum bestimmenden Faktor des Preises. Die hohen Extraprofite, die die Industriellen einstecken, solange sie noch daheim und im Ausland mit Produkten zu konkurrieren hatten, deren Preis die geringere Produktivkraft rückständiger gewerblicher Technik erhöhte, fanden ihr Ende. Die Profitrate sank. Die englischen Produkte stießen immer mehr auf die Produkte europäischer Industrie, die alten Absatzmärkte wurden weniger aufnahmefähig. Diese Entwicklung wurde noch beschleunigt durch die Schutzzollmauern, mit denen sich die europäischen Länder umgaben und die wieder vor allem den Absatz englischer Waren hinderten, die Profitrate des englischen Kapitals senkten. Der neuentstehende kontinentale Kapitalismus hatte aber im vorhinein geringeren Spielraum. Nur auf dem inneren Markt sah er sich teilweise durch Schutzzölle geschützt; hatte die Industrie aber das Stadium der Exportfähigkeit erreicht, sollte sie auf den Weltmarkt hinaus, so sah sie sich im Vorhinein der altentwickelten englischen Industrie als mächtigeren Konkurrentin gegenüber. Das Stadium hoher Profite ging für sie noch rascher vorüber als für das englische Kapital. Bis in die neuere Zeit, wo die ungeheure Erweiterung des Weltmarktes, die Hochschutzzölle und die Kartelle diese Entwicklung modifiziert haben, war die Lage der kontinentalen Industrie, die Akkumulation und Konzentration der aus der Industrie gewonnenen Vermögen im Vergleich mit der englischen Entwicklung eine relativ geringe. Die Extraprofite aus der Konkurrenz mit dem Handwerk hatte ja die englische Industrie auch auf den europäischen Märkten schon eingeheimst. Nicht in Konkurrenz mit dem Handwerk vornehmlich, sondern in Konkurrenz vor allem mit der englischen Fabrik musste sich der industrielle Kapitalismus in Europa entfalten.

Diese Entfaltung aber musste vor allem in dem englischen Kapital wieder das Streben wachrufen für die Einschränkung in Europa, die ja allerdings eine relative war, aber doch eine Schranke für das Bedürfnis des Kapitals nach absoluter Entfaltung aller Produktionskräfte, sich durch die Erschließung neuer Absatzmärkte zu entschädigen. Dass man aber diese immer mehr in Form von Kolonien zu erwerben suchte, hat besondere Gründe.

Die erste Periode der Kolonialpolitik hat ihre Bedeutung vor allem in der raschen Beschleunigung der ursprünglichen Akkumulation, deren gewaltige Ausdehnung sie erst ermöglichte. Eine geringere Bedeutung hatten da die Kolonien als Absatzmärkte, wenn auch die Versorgung dieses Marktes die Entwicklung der kapitalistischen Manufaktur beschleunigt hat. Seit der Entwicklung der Maschinenindustrie verloren sie aber nicht nur deshalb an Bedeutung, weil die europäischen Absatzmärkte, wie wir gesehen haben, wichtiger wurden. Es war auch nicht mehr so wichtig, dass diese überseeischen Märkte Kolonialcharakter hatten, in politischer Abhängigkeit vom Mutterlande standen. In der kapitalistischen Produktion jener Zeit stehen an der Spitze jene Industrien, die Konsummittel liefern. Der Absatz ihrer Produkte war gesichert durch ihre Billigkeit. Die englische Industrie hatte sowohl durch ihre technische Leistungsfähigkeit wie durch die überragende Entwicklung der Handelsflotte das Monopol des Absatzes gesichert. Ein politischer Zwang erschien überflüssig, kostspielig und gefährlich. Wichtig war nur zweierlei. Einmal, dass die Gebiete aufnahmefähig waren. Hier kamen, von Indien abgesehen, die Stätten alter Kultur, die Mittelmeerländer und Ostasien in Frage, während Afrika keine besonderen Aussichten bot. Sodann aber mussten die Handelsbeziehungen gesichert sein, und dafür sorgte gelegentliches militärisches Eingreifen, das aber mehr den Charakter eines Handelskrieges, als den eines Kolonialkrieges annahm. Die Textilindustrie war nicht kriegerisch.

Ganz anderen Charakter tragen die modernen Kolonien. Sie sind weder in erster Linie Ausbeutungskolonien mit großen natürlichen Schätzen, die man ausraubt, und einer arbeitsfähigen Bevölkerung, die man versklavt; sie sind ebenso wenig im vorhinein Absatzmärkte für die Konsummittelindustrien des Mutterlandes. In der europäischen Industrie stehen jetzt überhaupt nicht die Interessen der Konsummittelindustrien, sondern die der Produktionsmittelindustrien im Vordergrund, vor allem der schweren Eisenindustrie. Gerade für diese aber bieten moderne Kolonien ein günstiges Feld als Anlagesphären für Kapital. Nicht um Waren zu holen oder zu bringen, sondern um ein Stück Kapitalismus fix und fertig mitsamt dem Kapital aus Europa zu exportieren, dazu braucht man die Kolonien. Und Kolonien müssen es sein, weil heute überall die Technik in den entwickteltsten Staaten annähernd dasselbe leistet und daher nicht Preisunterschiede, sondern die Staatsmacht entscheidet, welchem Land die Möglichkeit geboten werden soll, sein Kapital in fremden Ländern profitabel, zu einer höheren als der europäischen Profitrate anzulegen. Es sind die Produktionsmittel, die nach den Kolonien in erster Reihe gebracht werden, vor allem die ungeheure Kapitalsummen verschlingenden modernen Transportmittel, die Eisenbahnen. Es ist der Überfluss an Kapital, das heißt an Waren, die ihrer Natur, ihren stofflichen Eigenschaften nach nur als Produktionsmittel, das heißt heute als Ausbeutungsmittel fremder Arbeit dienen können, die die moderne Kolonialpolitik bedingt.
 

III.

Wir sehen so seit etwa dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts eine neue Epoche kapitalistischer Kolonialpolitik. Träger dieser Entwicklung ist naturgemäß zunächst England, das entwickteltste kapitalistische Land, in dem sich auch diese Tendenzen am ehesten geltend machen. Im folgte bald Frankreich, besonders energisch nach dem Verlust von Elsass-Lothringen, während die übrigen Länder des Atlantischen Meeres ihre alten Besitzungen wieder aufs neue schätzen lernen, sie zum Teil erweitern und die Vereinigten Staaten die wertvollsten Teile des spanischen Kolonialreichs an sich reißen. Nur Deutschland macht eine Ausnahme.

Die Gründe dafür sind klar. Die Entwicklung des Kapitalismus war in Deutschland sehr verspätet. Die territoriale Zerrissenheit hindert sein Aufkommen auch dann, als längst alle übrigen Vorbedingungen gegeben waren. Dieses politische Hindernis konnte nur politisch überwunden werden. Die Revolution von 1848 ist der erste Versuch. Der revolutionäre Weg bedeutete die Herstellung eines deutschen Reiches, das auch die deutschen Länder Österreichs in sich begriffen hätte. Deutschland hätte dadurch mit Triest den Zugang zum Adriatischen und Mittelmeer offen gehabt. Wie sehr die Bedeutung Triests dem Frankfurter Parlament klar war, beweist dessen Erklärung, dass ein Angriff auf Triest als ein Angriff auf Deutschland betrachtet würde. Der revolutionäre Sieg aber hätte auch den Sieg der Demokratie bedeutet. Ein so großes mächtiges und dabei freiheitliches Reich im Zentrum Europas hätte die demokratische Entwicklung des ganzen Kontinents bedeutet und hätte auf die kleineren Staaten größte Anziehungskraft ausgeübt. Ein enges Bündnis mit Holland wäre durchaus möglich gewesen. Zum zweiten Mal in der Geschichte Deutschlands wären damit die Bedingungen für eine Anteilnahme an der Kolonialpolitik erfüllt gewesen. Denn ohne freien Zugang zum Atlantischen Meer, wie sie die holländischen Häfen, und ohne einen Stützpunkt im Süden, wie ihn Triest dargeboten hätte, ist eine sichere und erfolgreiche Kolonialpolitik nicht möglich. Die Flotte allein ist nutzlos, wenn sie ohne weiteres in der Nordsee eingesperrt werden kann. Nicht die englische Flotte, sondern der freie Zugang zum Meer und der Besitz von Häfen und Kohlenstationen an allen wichtigen Punkten der Seestraßen der Welt begründet die Seeherrschaft Englands und gibt ihm die Möglichkeit, sich seine überseeischen Eroberungen zu sichern. Das wissen auch unsere Alldeutschen sehr gut, die die Flotte nur als ersten Schritt betrachten in der Hoffnung, dass ein gütiges Geschick, ein siegreicher Krieg für diese Flotte auch die nötigen Häfen liefern werde.

Aber die revolutionäre Bewegung wird von der Reaktion besiegt, die Einigung Großdeutschlands auf demokratischer Basis wird vereitelt, zum zweiten Mal scheitert die Möglichkeit des deutschen Imperialismus an dem Widerstand der Fürsten. Indem Bismarck die Notwendigkeit der deutschen Einheit für die dynastischen Interessen der Hohenzollern ausnützt, stellt er diese Einheit her auf Kosten der Ganzheit. Die Einigung unter Preußens Führung bedeutete den Ausschluss Deutschösterreichs und damit den Verlust der österreichischen Küstenländer für Deutschland. Preußens Führung bedeutete ebenso den Ausschluss der Demokratie und seine Annexion Elsass-Lothringens die Verfeindung mit Westeuropa, die Russland so lange zum Schiedsrichter auf dem europäischen Kontinent gemacht hat. Der Sieg der Politik Bismarcks bedeutet so die endgültige Niederlage des deutschen Imperialismus. Deutschland ist endgültig von den Meeresstraßen abgedrängt, die ihm zugänglich sein müssten, wollte es sich erfolgreich an der Kolonialpolitik beteiligen, es ist abgedrängt vom Atlantischen Ozean wie vom Mittelländischen Meer. Die Schwäche und Feigheit der deutschen Bourgeoisie auf dem Gebiet der Politik wird so zur Ursache ihres Zurückbleibens auf dem Gebiet der Kolonialpolitik.

Die Unmöglichkeit eines deutschen Imperialismus hat Bismarck mit seinem scharfen Blick für die realen Kraftverhältnisse der europäischen Staaten stets eingesehen. Er wollte die längste Zeit von einer Beteiligung an dem allgemeinen Kolonialdrang, der die kapitalistischen Nationen aufs Neue erfasst hat, nichts wissen. Ja er sah in der Kolonialpolitik Frankreichs, darin allerdings vom Standpunkt kapitalistischer Politik kurzsichtig, nur eine erwünschte Ablenkung der französischen Interessen von Europa. Dass aber Bismarck diese Politik innehalten konnte, ohne im Inland auf Widerstand zu stoßen, erklärt sich leicht daraus, dass das deutsche Kapital, für das endlich die Schranken fielen, die ihm die Zerrissenheit des Wirtschaftsgebiets entgegengestellt hatte, genug im eigenen Lande beschäftigt war. Unterdessen aber teilten sich Engländer und Franzosen, zum Teil auch Russen und Italiener in die wertvollen Stücke, die von der Welt noch übrig waren. Für Deutschland blieb nichts übrig, als was die anderen verschmähten.
 

IV.

Sieht man von den Vereinigten Staaten ab, so ist die deutsche Kapitalistenklasse heute diejenige, deren Bedürfnis nach Expansion am stärksten ist. Die deutsche Kapitalistenklasse ist von den großen europäischen Staaten die jüngste. In ihr überwiegt der Bereicherungstrieb noch bei weitem den Genusstrieb. Zugleich ist die Profitrate, mit der ihre großen Industrien arbeiten, eine hohe. Die Schutzzölle haben ihr den inneren Markt gesichert, die Kartellierung beschleunigt und die Kartellprofite außerordentlich gesteigert. Zudem hat die Ausdehnung der Industrie einen solchen Grad erreicht, dass sie in Jahren der Prosperität bereits an die Grenze der verfügbaren Arbeiterbevölkerung stößt. Eine weitere Anlage von Kapital im Inland bedroht die Höhe der Profitrate. Soll das neu akkumulierte Kapital ebenso profitabel arbeiten wie das alte, so muss es zum Teil wenigstens exportiert werden. Da aber alle europäischen Länder in derselben Lage sind, begegnet das deutsche Kapital überall der Konkurrenz fremden Kapitals. Diese Konkurrenz muss ebenso ausgeschlossen werden wie die Konkurrenz der fremden Waren auf dem einheimischen Markte. Die überseeischen Länder müssen deutsche Kolonien werden. Dies hat noch den Vorteil, dass der Staat große Ausgaben für Rüstungszwecke hat und außerdem den Ertrag des exportierten Kapitals, das zum Beispiel für Eisenbahnbauten ausgegeben wird, unter Umständen garantiert.

Haben wir so einerseits in den Interessen der deutschen Kapitalistenklasse, zu denen sich die Interessen der Militär- und Bürokratenkreise gesellen, eine gewaltige Triebkraft für die Beteiligung Deutschlands an der Kolonialpolitik, so stellen sich dieser andererseits die größten Hindernisse entgegen, Hindernisse, die durch die geographische Gestaltung des Reiches, in seinen heutigen politischen Grenzen gegeben, sich zunächst nicht überwinden lassen. Einerseits so zur Kolonialpolitik getrieben, andererseits immer wieder an die Unmöglichkeit erfolgreicher Durchführung gestoßen, verfolgt unsere auswärtige Politik seit dem Sturze Bismarcks notwendigerweise einen Zickzackkurs. Immer erneute Vorstöße, immer erneutes Zurückweichen. Bald schrankenloser Optimismus, fast größenwahnsinnige Renommistereien, bald christlich-bescheidene Resignation und schmeichelnde, fast Furcht bezeugende Freundschaftsumbuhlungen. Alles das beweist nur die Unmöglichkeit des deutschen Imperialismus, solange er nicht diese Unmöglichkeit zu überwinden sucht auf gewaltsame Weise, durch Eroberung der notwendigen Häfen in Europa und wertvollen Kolonialbesitzes anderer Länder.

Viermal hat der deutsche Imperialismus seinen Anlauf genommen. Es ist charakteristisch, dass es das Bankkapital und die mit ihm in Deutschland so eng verbundene schwere Industrie, vor allem die Elektrizitäts-, Waffen- und Eisenindustrie ist, die dabei die Führung haben. Zunächst suchte deutsches Kapital in Südamerika, vor allem in Brasilien, Einfluss zu gewinnen. Hier stieß es auf die überlegene ökonomische und politische Macht der Vereinigten Staaten. Die Monroedoktrin, zur Drago Doktrin erweitert, hat wohl jede Hoffnung auf andere als reine Konkurrenzerfolge in Südamerika ausgeschlossen. Der zweite Vorstoß erfolgte in Ostasien durch die Beteiligung am Chinaabenteuer und die deutsche Intervention gegen die Japaner zugunsten der Russen. Die Folgen sind bekannt. Der russisch-japanische Krieg sicherte die Vorherrschaft Japans, das englisch-japanische Bündnis, dem die französisch-japanischen und japanisch-russischen Verträge folgten, schlossen Deutschland von jedem Einfluss auf die Gestaltung der Dinge in Ostasien aus und machten aus Kiautschou (Jiaozhou) ein Pfandobjekt für deutsches Wohlverhalten in den Händen Japans, hinter dem England steht. Zum dritten Mal versuchte Deutschland, aus dem Stillen Ozean vertrieben, Einfluss auf die Länder des Mittelmeers zu gewinnen. Die Marokkoaffäre enthüllte zugleich die großen Gefahren für den Weltfrieden, die die Kolonialpolitik mit sich bringt. Das Marokkoabenteuer endete mit der Einkreisung Deutschlands. Wenn man von Holland absieht, dessen Sympathien ebenfalls auf der anderen Seite sind, da es sich trotz aller offiziellen und sicher heute aufrichtig gemeinten Versicherungen durch die innere Logik deutscher imperialistischer Möglichkeiten bedroht sieht, dann sind die Mittelmeermächte, zugleich die alten Kolonialmächte, heute vereinigt gegen jedes Expansionsbestreben Deutschlands. Diese Konstellation, die in Algeciras zutage trat, wurde befestigt durch das Bündnis zwischen England, Frankreich und Spanien. Der englisch-russische Vertrag schließlich, der zunächst für Zentralasien von Bedeutung ist, vermehrt auch die Machtstellung Englands in Europa, das heißt aber die Macht Englands gegen Deutschland. Kein Wunder, dass jetzt die auswärtige Politik, worüber sich politische Kinder freuen mögen und womit Fürst Bülow renommieren mag, momentan an einen gewissen Ruhepunkt gelangt ist.

Zuletzt schließlich hat sich das deutsche Kapital unter Führung der Deutschen Bank eine Interessensphäre im Gebiet der anatolischen Eisenbahn geschaffen. Auch hier stößt Deutschland an englische Interessensphären. Zudem kann dieses Gebiet mit Machtmitteln kaum behauptet werden, da seine Operationsbasis von der Heimat zu weit entfernt ist und England den Seeweg beherrscht. Auch hier ist eine Besitzergreifung ausgeschlossen, allerdings auch nicht notwendig, da das fruchtbare Gebiet dem deutschen Kapital genügend Profitmöglichkeiten eröffnet. Damit ist aber die Unmöglichkeit eines deutschen Imperialismus, die allerdings im Vorhinein klar war, auch empirisch erwiesen. Ohne einen europäischen Krieg ist eine koloniale Expansion Deutschlands nicht zu haben.
 

V.

Es ist klar, dass diese Situation auch auf die innere Politik nicht ohne Rückwirkung bleiben konnte. Denn die Zusammenhänge, wie wir sie bisher betrachtet haben, reflektieren sich in den Köpfen der herrschenden Klassen naturgemäß ganz anders. Expansion ist die Lebensbedingung des Kapitals, und die Form, die heute diese Expansion annehmen muss, wenn die Interessen des Kapitals allein entscheiden, ist die der kolonialen Expansion. In kapitalistisch interessierten Köpfen hat deshalb die Idee der Unmöglichkeit dieser Expansion keinen Platz. Sie zugeben hieße ja, dass ein anderer Ausweg aus den Verlegenheiten, die die absolute Steigerung der Produktivkräfte in der kapitalistischen Gesellschaft schafft, gefunden werden müsste, und dieser Ausweg könnte nur der Sozialismus sein. Der Imperialismus ist ja die Lebenslüge des sterbenden Kapitalismus, die letzte, zusammenfassende Ideologie, die er dem Sozialismus entgegenzustellen hat. Allem Anschein nach wird die Entscheidung zwischen Bourgeoisie und Proletariat als Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus ausgefochten werden.

Was uns als Unmöglichkeit, erscheint der Bourgeoisie so als einziger, rettender Ausweg. Die Misserfolge der deutschen Politik erscheinen ihr daher nicht als notwendig, sondern als zufällig, bedingt durch die Ungeschicklichkeit ihrer Leiter – dies die Auffassung der bürgerlichen Opposition – oder bedingt durch die mangelnde Opferwilligkeit des Volkes, die allzu geringe Entfaltung der Machtmittel – die Auffassung der Regierung und ihrer Freunde. Je schwieriger aber die Lage nach außen ist, desto empfindlicher wird man gegen Widerstände, die im Innern dieser Politik entgegengestellt werden. Gegner der imperialistischen Politik sind aber nicht nur die Proletarier, für die diese Politik nicht nur momentan neue Lasten, sondern auch die Hinausschiebung ihres endlichen Sieges bedeutet, sondern auch die Mittelschichten. Vor allem der produzierende Mittelstand, die Bauern und Handwerker, haben nicht das geringste Interesse daran, ihre Steuerlast noch vermehrt zu sehen durch eine Politik, die nur dem Großkapital zugutekommt. So unselbständig diese Schichten nun auch sind, können doch Parteien, die auf diese größere Rücksicht nehmen müssen, nur vorsichtig und zögernd die imperialistische Politik unterstützen. Die Haltung des Zentrums, bis zu einem gewissen Grad auch die der Freisinnigen Volkspartei ist dafür ein Beispiel. Dazu kommt noch die traditionelle Opposition, in der sich die Vertreter der großstädtischen Schichten zur Regierung befanden, eine Opposition, die durch die reaktionäre Strömung und ständige Verletzung aller liberalen Ideologien, durch den Ausschluss dieser Schichten von der Verwaltung und durch die Bevorzugung des Adels auf allen Gebieten wachgehalten wurde. War so die Lage der Regierung nach außen stets prekär, so fand sie im Innern nur Unterstützung bei der Vertretung des Junkertums und des Großkapitals, während alter und neuer Mittelstand und deren politische Vertretung nur zaudernd und widerwillig folgten, die der Regierung nötig erscheinenden Mittel verkürzten und so in ihr das Gefühl wachriefen, dass nur die mangelnde Unterstützung im Inland schuld an den Misserfolgen in der auswärtigen Politik sei.

Diese Gefühle und um Gefühle und Stimmungen mehr als um klare Einsichten handelt es sich wohl bei den Trägern der deutschen Politik – führten die neueste Phase in der inneren Politik herbei. Die Blockpolitik ist nichts anderes als der Wunsch, alle Kräfte des Bürgertums, die der imperialistischen Ideologie zugänglich sind, zur Unterstützung dieser Politik zu sammeln. Dies müsste umso nötiger erscheinen, als in Deutschland diese Politik von der größten und zielbewusstesten Partei unerbittlich bekämpft wurde. Diese Bekämpfung musste den herrschenden Klassen umso unangenehmer sein, als der deutsche Imperialismus eben wegen seiner Unmöglichkeit von der deutschen Arbeiterklasse bedeutende Opfer fordert, ohne den Massen auch nur jene scheinbaren und illusionären Erfolge zu bieten, die der Imperialismus der Grenzländer des Atlantiks immerhin noch gewähren mag. Da es aussichtslos erscheinen musste, den Acheron zu bewegen, mussten die Oberen aufgerüttelt werden. Dann aber standen einander zwei Momente gegenüber. In der bisherigen Regierungsmajorität von Zentrum und Konservativen wurden der imperialistischen Politik noch Bedenken und Besorgnisse entgegengestellt, und doch fordert diese Politik immer, namentlich aber bei den großen Gefahren, die sie in Deutschland in sich schließt, Schwung, Begeisterung, bedenkenloses Dahinstürmen. Das Zentrum musste auf seinen kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Teil beständig Rücksicht nehmen, und die Leitung benutzte diese Not, um daraus, wenn nicht eine Tugend, so doch Profit zu machen und Zugeständnisse aller Art auf legislativem und administrativem Wege (was man „Nebenregierung“ nennt) herauszuschlagen. Diese Mitregierung des Zentrums hatte aber für die Regierung noch den weiteren Übelstand, den Liberalismus in Opposition zu erhalten.

Der deutsche Liberalismus ist wie jeder andere entstanden im Kampfe mit dem absoluten Königtum. In anderen Ländern hat er nach Besiegung des Königtums oder nach Abschloss eines leidlichen Kompromisses die Regierung angetreten. Als Träger der Regierungsmacht hat der Liberalismus dort selbstverständlich alle Regierungsnotwendigkeiten, was in Preußen Staatsnotwendigkeiten oder nationale Pflichten usw. getauft wurde, erfüllt und ist auch allmählich Träger des imperialistischen Gedankens geworden. In Deutschland aber siegte nicht der Liberalismus, sondern der Cäsarismus Bismarcks. Der Liberalismus spaltete sich: der eine nahm den Inhalt des Cäsarismus, die Herstellung des einheitlichen Wirtschaftsgebiets und die Entfesselung der kapitalistischen Kräfte, für sein Wesen und wurde die eigentliche Regierungspartei namentlich in den Fragen, die die Ausgestaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung betrafen: das waren die Nationalliberalen, die Vertreter des Großkapitals. Die anderen stießen sich an der bürokratischen und polizeilichen Form des Cäsarismus. Sie blieben in Opposition, geschwächt einerseits durch den Abfall des Großkapitals, andererseits des Proletariats, auf dessen Kosten sich diese Entwicklung ja vollziehen musste — das waren die Freisinnigen. Die Konservativen Preußens aber wurden nicht so sehr Regierungspartei als regierende Partei, da sie das Regierungs-, Verwaltungs- und militärische Personal stellten.

Dies wird natürlich durch gelegentliche Reibungen zwischen Regierung und Konservativen nicht widerlegt. Denn sind auch die Konservativen die Regierung, so ist doch der an der Regierung befindliche Konservative an gewisse Notwendigkeiten gebunden, die der Konservative als Parteimann nicht berücksichtigt. Alle Klassenforderungen des Großgrundbesitzes lassen sich in Industriestaaten wie Sachsen und Preußen nicht restlos verwirklichen. Der konservative Minister muss daher häufig eine Politik machen, die mehr die der Freikonservativen oder der rechtsstehenden Nationalliberalen ist. Darin sieht er sich durch eine allzu große parlamentarische Vertretung der Konservativen etwas beengt. Es entspricht so einem ministeriellen Bedürfnis, wenn in Sachsen und Preußen von der Regierung die Frage der Wahlreform aufgerollt wird. Natürlich soll die Wahlreform nur so weit gehen, um den unmöglichen Konservatismus durch den möglichen zu ersetzen, eine Reform, die durch die ökonomische Entwicklung sehr erleichtert wird, die auch die Junker immer mehr mit kapitalistischen Interessen erfüllt und den Unterschied zwischen Freikonservativen, Nationalliberalen und reinen Konservativen bereits fast ganz verwischt hat. Dazu kommt das Regierungsbedürfnis, die noch indifferenten, aber durch eine energische Wahlrechtsaktion sehr leicht für die Sozialdemokratie zu gewinnende Kreise der Arbeiterschaft durch Einräumung einer ohnmächtigen Scheinvertretung der Arbeiterklasse noch länger zu täuschen.

Neben dem Freisinn gehörte auch das Zentrum anfangs zur Opposition. Später nahm es jedoch seiner sozialen Zusammensetzung entsprechend jener eigentümlichen, lavierenden Haltung ein, die charakteristisch ist für alle bürgerlichen Parteien, die nicht ausgesprochene Klassenparteien sind, sondern ein Konglomerat von Klassenteilen vertreten, die durch ein ideologisches, allmählich traditionell werdendes Band zusammengehalten werden. Die freisinnige Opposition aber musste anknüpfen an die für den deutschen Liberalismus einzig nennenswerte Zeit des Kampfes gegen die Bismarckschen Forderungen. In der Konfliktszeit hatten sie gegen die Militärforderungen gekämpft. Diesen Kampf setzten sie fort. Natürlich nicht prinzipiell als Gegner des Militarismus und als Anhänger der proletarisch-demokratischen Heeresorganisation. Das kann keine bürgerliche Partei. Sondern sie kämpften, indem sie den Maßstab des ängstlichen Kleinbürgers anlegten und stets nach der Rentabilität fragten, nicht die Militär- und dann die Marineforderungen verwarfen, sondern etwas abzuhandeln suchten, darin dem Zentrum gleichend, das nur besserer Händler war und die Konjunktur besser ausnutzte. Als die imperialistische Strömung begann, wiederholte sich beim Freisinn aus verwandten Ursachen derselbe Prozess, den der Sieg des Cäsarismus schon einmal herbeigeführt hatte. In einer neuen Spaltung trennten sich die dem Freisinn noch verbliebenen Reste des Großkapitals, mehr Händler- und Reederkapital als industrielles, und nahmen den Imperialismus und die dazu gehörige Unterstützung der Militär-, Marine- und Kolonialpolitik in ihr Programm auf. Der andere Teil hielt unter Führung Richters die bisherige Tradition langweiliger Nörgelei aufrecht. Mit Richter starb aber jene Tradition und damit das letzte Hindernis für diese Partei, sich dem Imperialismus zu ergeben. Außerdem war die soziale Zusammensetzung dieser Partei dafür immer günstiger geworden. Zu ihr gehören Börsenleute, denen die Gesetzgebung ihr Handwerk ein wenig beschnitten hat, Kleinbürger, kleine Handwerker und Kleinkapitalisten, die sich vom Großkapital und von der Gewerkschaftsbewegung zugleich aufs heftigste bedroht sehen, dann jene Schichten, die die neuere Entwicklung des Kapitalismus so rasch vermehrt, die Angestellten aller Art in Handel und Industrie. Es sind Schichten ohne ausgesprochenes Klasseninteresse, da die einen keine eigene Klassenpolitik mehr treiben können, die anderen ihr wahres Interesse, das sie in die Reihen des Proletariats stellt, noch nicht erkannt haben. Schichten mit verschiedenen Interessen müssen aber zusammengehalten werden durch eine Ideologie. Diese bietet zum Teil der Liberalismus. Aber nur zum Teil. Denn erstens ist der Liberalismus für diese rein städtischen Schichten eine gewisse Gefahr. Die Demokratie in der Stadt hieße den Freisinn zu einem Kampfe mit nicht gerade sicherem Ausgang um die Kommunalherrschaft zwingen. Einen Teil der kleinbürgerlichen Schicht treibt die Angst vor der Sozialdemokratie zu immer größerer Vorsicht auch gegen den Liberalismus. Das liberale Band ist zu schwach, und da bietet sich als willkommene Verstärkung die imperialistische Ideologie.

Nachdem so die soziale Entwicklung die Dinge präpariert hatte, konnte Bülow gelingen, was vor ihm Bismarck und dann Miquel misslungen war, die Verwandlung der bürgerlichen Opposition in eine Regierungsstütze, ohne die Ziele der Regierung im Geringsten zu modifizieren. Es ist charakteristisch, dass die Koalition der Parteien zu dem Block nicht ein Werk dieser Parteien selbst, eine Frucht ihrer eigenen Verständigung ist, sondern auf Befehl von oben vollzogen wurde, ein Vorgang, der in der parlamentarischen Geschichte wohl ohne Beispiel dasteht. Er ist zugleich der Beweis für die außerordentliche Schwäche und Haltlosigkeit der bürgerlichen Parteien in Deutschland, eine Schwäche, die zum Teil auch der Haltlosigkeit der heutigen Parteiformationen entspringt, die sich eben vollkommen überlebt haben. Der Block wurde vor allem deswegen möglich, weil er ein Übergangsstadium darstellt für eine Neuorientierung der bürgerlichen Politik oder besser gesagt für den Ausdruck einer solchen Neuorientierung, die in Wirklichkeit im Innern der Parteien sich längst angekündigt hat.

Der Block bedeutet zunächst für die Regierung einen wichtigen Vorteil: sie gewinnt die großstädtischen, nichtproletarischen Schichten für die imperialistische Politik und damit auch die großstädtische Presse, die „öffentliche Meinung“. Sie wird den Widerstand gegen Militär- und Flottenpläne und Kolonialabenteuer innerhalb des Bürgertums los. Die „nationalen“, das sind die imperialistischen Aufgaben müssen ohne parlamentarische Entschädigung aus „nationalem Pflichtgefühl“ erfüllt werden. Nicht nur alle „Volksrechte“, sondern überhaupt jede Rücksicht auf die Wünsche der Parteien kann man sich ersparen, der Regierungsabsolutismus ist fester begründet, das Parlament ohnmächtiger und einflussloser als je. Da aber Regierungsabsolutismus identisch ist mit der Herrschaft der Konservativen, so haben diese alles Interesse daran, eine solche Politik nicht zu stören.

Die Regierung ist von der Rücksichtnahme auf die Wünsche des kleinen Mittelstandes, wie sie das Zentrum vertrat, befreit. Zugleich bricht sie damit die Macht der einzigen bürgerlichen Partei, die noch nennenswert war, die eine Macht außerhalb der Regierung, ja gegen diese darstellt, weil sie sich auf breite Schichten im Volke stützt. Die neue Regierungspolitik verstärkt die sozialen Gegensätze innerhalb des Zentrums; die großkapitalistischen Kreise im Zentrum sind Anhänger der Regierungspolitik, Anhänger des Imperialismus und der Bekämpfung der Sozialdemokratie, sie ertragen die Oppositionsstellung nur schwer. Aber noch gefährlicher kann diese Opposition dem Zentrum gerade wegen der oppositionell gestimmten Kreise in seinen eigenen Reihen werden, vor allem der Arbeiter. Bringt sie diese doch in eine Kampflinie mit der Sozialdemokratie, muss sie ja dann vielfach zugestehen, was wir selbst stets hervorheben. Zudem hat das Zentrum auf seine Arbeiter gerade durch seinen Einfluss auf die Regierung gewirkt, ihnen vorgehalten, was alles es für sie sozialpolitisch tun könne, weil es nicht in unfruchtbarer Opposition verharre wie die Sozialdemokratie, sondern die Regierung unterstütze. Daher das unentschiedene Verhalten des Zentrums, seine Unlust zur Opposition, seine Furcht vor „Entfesselung des Volkssturmes“, seine stets erneuten Anbiederungsversuche an die Regierung, seine Konkurrenzmanöver gegen den Freisinn in der Submission für Flottenbau.

Der Freisinn selbst aber ist gefangen. Er wird nun vollends lächerlich, wenn er aufs Neue in die Opposition überginge und eingestünde, er sei geprellt worden. Wenn schon nicht Minister, so sterben doch noch politische Parteien an solcher Lächerlichkeit. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als durch imperialistischen Lärm, durch nationale Demagogie, durch Hetze gegen die Sozialdemokratie zu versuchen, seine Anhänger beisammen zu halten, solange es eben geht. Diese Oppositionspartei muss die entschiedenste, unbedingteste Regierungspartei werden.

So wird es der Regierung gerade durch den Block, der auch für sie bloßer Übergang ist, möglich, ihr Ziel schließlich zu erreichen, die Zusammenfassung aller bürgerlichen Kräfte zur Sicherstellung ihrer Herrschaft vor den Angriffen des Proletariats. Ist der Liberalismus genügend gezähmt, so ist die Stunde gekommen, um das noch jetzt beiseitestehende Zentrum in die Koalition aufzunehmen. Das Zentrum ist aber dann anders geworden. Das Schaukelspiel, das es bisher getrieben, ist ihm verwehrt, seine Angst vor den Verlegenheiten der Opposition gesteigert, seine Demagogie erschwert, sein bürgerlich-kapitalistischer Charakter tritt in dem Bunde mit den anderen Parteien deutlicher hervor. Die gesammelte Kraft der Bourgeoisie aber wird nun gerichtet auf den Imperialismus, das Band, das jetzt alle vereinigt, und gegen das Proletariat, das ihn negiert.

Diese Entwicklung zu beschleunigen, andererseits aber ihre Gefahr für das Proletariat so sehr als möglich zu verringern, ist die selbstverständliche Aufgabe der proletarischen Politik der nächsten Zeit. Dazu genügt es aber nicht, theoretisch die Möglichkeiten politischer Entwicklung darzulegen, dazu bedarf es des politischen Anschauungsunterrichts. Es ist charakteristisch – und obgleich historisch notwendig, steigert es noch die große Schwäche des deutschen Imperialismus — dass er im Innern reaktionär ist, reaktionär sein muss, weil der Widerstand der Arbeiterklasse bereits zu groß ist. Hier muss die sozialdemokratische Gegenwirkung einsetzen. Dem Programm des Imperialismus setzt sie die freie Selbstbestimmung des Volkes im Innern, die Demokratie in Gesetzgebung und Verwaltung entgegen. Dieser Kampf um die Demokratie aber konzentriert sich, wie die Dinge sich nun einmal entwickelt haben, in der Frage der Erringung des gleichen Wahlrechts in Preußen. Nur dadurch, dass sich die Sozialdemokratie an die Spitze dieser Aktion setzt und sie weiterführt mit aller Energie und mit allen Machtmitteln, die einem so entwickelten, glänzend organisierten Proletariat in einem modernen Industriestaat zu Gebot stehen, kann auch den Indifferenten und Zögernden gezeigt werden, dass Demokratie in Deutschland identisch ist mit Sozialdemokratie.

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Anmerkungen

1. Die Möglichkeit der Herausbildung eines einheitlichen Staatswillens, der als Resultante der Machtverhältnisse der verschiedenen Klassen der kapitalistischen Gesellschaft alle Klassen dieser Gesellschaft jeweils sich unterwirft, ist die Bedingung, die moderne Verfassungsinstitutionen erfüllen müssen. Das Kurienparlament Österreichs scheiterte in erster Instanz daran, dass es die Sonderinteressen der einzelnen Klassen und Schichten der bürgerlichen Gesellschaft in einer Weise zur Geltung brachte, die die Herausbildung eines solchen allgemeinen Staatswillens unmöglich machte. Dies zeigte sich an der chronischen Obstruktion, die schließlich die Einführung des gleichen Wahlrechts unter dem Druck der Arbeiterklasse einerseits, der Staatsnotwendigkeit andererseits erzwang. Auch in Deutschland machen sich in neuerer Zeit immer stärker die Mängel seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen geltend. Einerseits verfälscht die Wahlkreiseinteilung, die sich immer mehr zuungunsten der städtischen Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterschaft verschiebt, im Reichstag den Ausdruck der Kraft der städtischen Bevölkerung und damit die Resultante der Kraftverhältnisse, den Staatswillen; ganz abgesehen von der verkünstelten Teilung der Macht zwischen Bundesrat und Reichstag. Sodann aber entstehen Reibungen aus dem Widerspruch, der sich daraus ergibt, dass dem im Reichstag zum Ausdruck kommenden politischen Machtverhältnis, also dem Willen der deutschen Nation, entgegentritt der Wille Preußens, des größten Teiles der Nation, der wieder ganz anders gebildet wird. Es ist einerseits der Widerspruch zwischen dem politischen Willen Deutschlands und dem Preußens, andererseits der Widerspruch in der Bildung des preußischen Staatswillens selbst, bei dem der Wille von 85 Prozent der Bevölkerung überhaupt in die Bildung der Resultante nicht eingeht, der die Einführung des gleichen Wahlrechtes in Preußen zu einer Notwendigkeit der Entwicklung macht, soll diese friedlich und verfassungsgemäß vor sich gehen können.

2. Sombart 1902.

3. Spaniens Staatsbankrott 1575; 1611 Bankrott der Welser; 1643 lösen die Fugger ihr spanisches Geschäft auf.


Leztztes Update: 27. April 2025/p>